“Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen,” – so die Definition der WHO. Fast 800 Jahre früher postulierte der Philosoph und Kirchenlehrer Thomas von Aquin: „Gesundheit ist weniger ein Zustand als eine Haltung. Und sie gedeiht mit der Freude am Leben.“
Gemeinsam mit 25 Autorenkollegen geht Florian Ploberger in seinem Buch „Krank oder gesund“ der Frage nach, woher unsere Interpretation von Krankheit und Gesundheit kommt, ob man es nicht auch anders sehen kann und warum es Menschen gibt, die trotz Gesundheit unglücklich sind und andere, die trotz Krankheit ein erfülltes Leben führen. Ist unsere Gesundheit, unser Wohlergehen beeinflussbar durch unsere Einstellung, unsere Erwartung und unsere Geisteshaltung?
Mike Mandl* knüpft mit seinem Beitrag an die Definition der WHO an und stellt diese sogleich in Frage: „Es geht uns gut. Wir genießen einen unfassbaren Wohlstand, die aktive Lebensspanne steigt, viele Krankheiten, die früher eine tödliche Bedrohung darstellten, haben wir hervorragend im Griff. Und trotzdem: Wie sieht es aus mit dem großen Wohlergehen? Wie gesund ist unsere Gesellschaft? Wie gesund sind die einzelnen Individuen? Welchen Zugang zur Gesundheit verfolgen wir jetzt, im digitalen Zeitalter?“
Gesundheit wird zu einem Wettbewerb
„Es scheint so, als hätten wir das allseits beliebte Wettbewerbsdenken auch auf den Themenbereich Gesundheit übertragen und diese zum Wettbewerb deklariert. Wer vitaler, fitter und gesünder ist, gewinnt. Eine fast schon pathologische Suche nach einem eigentlich ganz natürlichen Zustand hat sich entwickelt, die eine riesige Industrie ins Leben gerufen hat, beginnend bei einer Myriade an Nahrungsergänzungsmitteln, endend bei Kältekammern für den Hausgebrauch und elektronischen Schlafhilfen. Wer da nicht mitspielt, fühlt sich schnell schuldig.
Für manche ist es mittlerweile fast ein Fulltimejob geworden, einfach nur gesund zu sein. Wir erleben den Beginn des Zeitalters von Spitzensportlern in der Disziplin der Gesundheit. Professionelle Biohacker erobern die Szene. Das erklärte Ziel: Die biologische Uhr auszutricksen, zu hacken. Es wird täglich mehr oder weniger alles aufgezeichnet und ausgewertet, was sich mit Hilfe von Smart Devices aufzeichnen und auswerten lässt, von den Tiefschlafphasen über den Puls bis zu den Gehirnwellen. Die Nährstoffzufuhr ist auf das Milligramm geplant, wie auch das körperliche Training oder der Wechsel von beruflicher Belastung und Ruhephasen.
Ist das noch gesund? Oder nicht doch schon ein bisschen krank? Die Definition der WHO tut da meiner Meinung nach nichts Gutes, weil sie Gesundheit als einen Zustand definiert, der fast unmöglich zu erreichen ist: Das umfassende Wohlbefinden in allen Lebensbelangen. Ja. Mittlerweile erzeugt das Thema Gesundheit Druck, Stress und Erwartungen.
Ihr biologisches Alter und BMI liegen unter der Benchmark? Schämen Sie sich! Sie haben diese Superfoods und jene Impfung noch nicht am Radar? Schämen Sie sich! Ihr Testosteronspiegel ist nicht mehr wie mit 16 Jahren? Schämen Sie sich! Nur 8000 Schritte pro Tag? Darüber reden wir lieber gar nicht. Nehmen Sie lieber dies, tun Sie lieber das. Sofort. Aber wie schaut es wirklich aus mit Ihrem Wohlergehen? Fühlen Sie sich wohl in Ihrer Haut?“
Was bedeutet Gesundheit aus Sicht der TCM?
„In der TCM gibt es einen Ansatz, der mir diesbezüglich sehr gut gefällt. Gesundheit ist das Resultat eines harmonischen Energieflusses. Zu Beginn der Laufbahn als TCM-Expert:in kümmert man sich hauptsächlich darum, den Energiefluss im Meridiansystem auszugleichen, da das Meridiansystem in enger Verbindung mit unseren Organen und allen Lebensfunktionen steht. Aber woher kommt die Energie? Die TCM bezieht sich hier nicht unähnlich der westlichen Physiologie auf die Atmung, die Ernährung und die Gene. Taucht man jedoch tiefer in das Konzept der TCM ein, dann begegnet man anderen Betrachtungsweisen.
In früheren Zugängen wurden die Meridiane auch „Himmlische Ströme“ genannt. Das Bild stellt – metaphorisch gemeint – vom Himmel ausgehende Energie dar, die sich in den Körper ergießt. Denn meist, wenn in der asiatischen Philosophie vom Himmel gesprochen wird, dann ist damit der Geist, das Bewusstsein, oder – in diesem Fall – die Seele gemeint. Seele ist ein furchtbar belasteter Begriff. Lassen Sie ihn daher bitte einfach einmal so im Raum stehen. Der Ansatz der „Himmlischen Ströme“ besagt, dass der größte Teil unserer Energie aus der Seele stammt. Und dass diese somit auch den größten Einfluss auf unsere Gesundheit hat.
Ich habe an einer anderen Stelle schon erwähnt, dass sich die strenge Trennlinie zwischen Gesundheit und Krankheit aufzulösen beginnt und man in neueren Überlegungen zu diesem Thema lieber von einer zufriedenstellenden Funktionsfähigkeit auf biologischer, psychologischer und sozialer Ebene spricht. Eine zufriedenstellende Funktionsfähigkeit ist auch realistischer als vollkommenes Wohlergehen. Was hat das jetzt aber mit der Seele und den „Himmlischen Strömen“ zu tun?“
Geist, Seele und Bewusstsein
„Neben der Zahl Neun haben die Taoisten auch ein Faible für die Drei. Unsere Persönlichkeit setzt sich ihrer Ansicht nach aus drei großen Komponenten zusammen – dem Geist, der Seele und dem Bewusstsein. Jede dieser Komponenten verfolgt andere Ziele, hat andere Funktionen. Dem Geist verlangt es nach Sinn, Anerkennung und Selbstbestätigung. Vereinfacht ist er die Instanz des Denkens. Er dient uns zum Verständnis der materiellen Welt und zum erfolgreichen Navigieren durch dieselbe. Das Bewusstsein sucht hingegen die Einheit. Es sucht Gott, Erleuchtung, Spiritualität, das Mystische. Es steht am anderen Ende des Individualisierungsprozesses. Der Geist repräsentiert das Ich. Das Bewusstsein das Wir oder das, was darüber hinaus geht. Und die Seele? Sie ist einerseits die Brücke zwischen diesen beiden Instanzen. Andererseits verlangt sie nach Schönheit, Spiel und Harmonie. Bekommt sie dies, blüht sie auf, und dieses Erblühen generiert einen Überschuss an Energie, der nicht nur den Geist, sondern auch den Körper durchdringt, über die Himmlischen Ströme“. Das hält gesund. …“
Der Kampf gegen Krankheit und um Gesundheit
„Unser Zugang zum Thema Gesundheit und Krankheit erfolgt primär über die intellektuelle Ebene. Generell erklären wir der Krankheit immer noch den Kampf und definieren Gesundheit als Gewinn. Generell führen wir einen (Überlebens-) Kampf. Wo ist da die Schönheit? Wo ist das Spiel? Wo ist die Harmonie? …“
Drei Medizinen der taoistischen Philosophie
„Um in Summe eine fruchtbare Balance auf allen Ebenen zu gewährleisten, kommen in der taoistischen Philosophie drei Medizinen zum Einsatz. Die Medizin der Erde. Die Medizin des Menschen. Und die Medizin des Himmels. Die Medizin der Erde beschäftigt sich mit der Heilung von körperlichen Erkrankungen. Das war das Metier meines Großvaters (Anmerkung der Redaktion: Der Großvater war Chirurg). Die Medizin des Menschen stärkt dessen Gesundheit. Das ist der Bereich von Yang Sheng Fa (Anmerkung der Redaktion: Begriff aus der TCM – einfach übersetzt mit: „Die Kunst zu pflegen, das Leben zu nähren“). Die Medizin des Himmels beschäftigt sich mit Spiritualität und dem Sinn des Lebens. Mich reizt dieser Bereich. Keine der Medizinen ist besser als die andere. Keine der Medizinen kann allein Gesundheit bewahren. Keine der Medizinen kann allein Krankheiten wirklich heilen. Aber alle miteinander können uns helfen, uns unterstützen und uns Schritt für Schritt einem durchdringenden Wohlbefinden näherbringen.“
* Der Inhalt dieses Blogs wurde dankenswerterweise zur Verfügung gestellt von Mike Mandl. Es handelt sich um einen Auszug seines Beitrags „Einfach bleiben und das Lachen der Seele“ aus dem Buch „Krank oder gesund – wie man es sieht“ von Florian Ploberger (Hg.). Mike Mandl lebt und arbeitet als Shiatsu- und TCM-Praktiker in Wien. www.mikemandl.at.
Veranstaltungs-Tipp:
Mike Mandl ist auch einer der Experten des
SHIATSU SUMMIT 2024
30.05. – 02.06.2024
Josefstädterstraße 5 I 1080 Wien
+43 1 595 4848
info@shiatsu-summit.com
shiatsu-summit.com
Buch-Tipp:
KRANK ODER GESUND
Wie man es sieht
Dr. med. Florian Ploberger (Hg.)
2023 BACOPA Verlag, 4521 Schiedlberg, Austria
380 Seiten
€ 29,80 (D), € 30,50 (A), CHF 43,90 (CH)
ISBN: 978-3-99114-040-5