Ein Plädoyer für die gute alte „bittere Medizin“
„Was bitter im Mund, ist dem Magen gesund“, heißt eine heimische alte Volksweisheit. Bekannt ist auch die Variante „Bitter im Mund, dem Herz gesund“. Wir gehen noch weiter und wagen zu sagen: „Bitter im Mund, rundum gesund“.
Nicht sehr beliebt, heute weniger denn je, war er immer da – rund um die Welt und in allen Kulturen – der bittere Geschmack. Einerseits als Warnsignal – manch bittere Pflanze ist giftig, andererseits als Lebenselixier – wenn man wusste welche Pflanze geeignet ist. Die traditionelle „Volksheilkunde“ hat diesbezüglich einen langen Erfahrungsschatz. Vergessen wir daher nicht, bei allen neuen Trends und Hypes bezüglich unserer Ernährung und in der Gesundheitsprävention, auf die gute alte „bittere Medizin“ oder so manches bittere Kräutlein oder Gemüse.
Die Lebensmittelindustrie hat uns sukzessive den bitteren Geschmack genommen. Natürlich, denn wir, und besonders unsere Kinder, sprechen viel mehr auf Süßes und Salziges an. Damit sind wir leichter zu verführen. Bitter war nie sehr beliebt – wir kennen die Redewendung „Diese bittere Pille muss er schlucken“ oder den Löffel „bittere Medizin“. Heilpflanzen mit hohem Bitterstoffanteil wurden also seit jeher als Medizin verabreicht. Jahrhundertelang waren bittere Pflanzen wichtige Grundzutaten auf der Suche nach DEM lebensverlängernden Elixier. „Theriak“ nannte man es in der Antike, „Ad longam vitam“ im Mittelalter und in der Neuzeit, als vorwiegend Alchemisten daran forschten. Am bekanntesten sind Bitterstoffpflanzen als Aperitif, Digestif und verdauungsfördernde Kräutermischungen und Elixiere. Aber sie können so viel mehr. Sie sind tatsächlich ein allgemeines Stärkungsmittel. In diesem Sinne müssen sie wieder mehr auf den Teller; wenn das nicht möglich ist, dann zwischendurch ein paar Tropfen als Elixier bzw. Kräuterauszug auf die Zunge geben.
Verdauung unterstützen
„Was bitter im Mund, ist dem Magen gesund“, das wussten schon die Altvorderen und sie hatten recht, wie heute die Wissenschaft bestätigt. Wir haben viele Bitterrezeptoren im Mund- und Rachenraum, daher können wir bitter so stark schmecken. Die Forschung hat mittlerweile festgestellt, dass Bitterrezeptoren auch an anderen Stellen unseres Körpers zu finden sind. Vornehmlich an Organen unseres Verdauungsapparates. Sie senden Botschaften an die jeweiligen Drüsen zur Stimulation und Anregung der Verdauungssäfte. Das beginnt im Mund mit erhöhter Speichelproduktion. Das Verdauungssekret Speichel enthält u.a. Amylase, ein wichtiges Verdauungsenzym, das die Stärke spaltet und die Verdauung und Verwertung von Kohlenhydraten möglich macht. Wichtig ist, dass bereits der bittere Geschmack im Mund zur Aktivierung aller Verdauungssäfte und deren Enzyme der nachfolgenden Verdauungsorgane beiträgt. Im Magen führen Bitterstoffe außerdem zu einer besseren Durchblutung der Magen- und Darmschleimhaut, zur Aktivierung des Magensaftes und zur Freisetzung des Hormons Gastrin, das wiederum Magen- und Darmbewegung anregt. Die Säfte bzw. Enzyme der Bauchspeicheldrüse und der Leber (Gallensaft) kommen ebenfalls in Fluss. All das bewirkt, dass einzelne Nährstoffe besser aufgenommen und verwertet werden. Das konnte früher bei karger Ernährung lebensnotwendig sein – aus dem Wenigen das Maximum an wichtigen Makro- und Mikronährstoffen rauszuholen und zu den Zellen zu führen.
Gegen Heißhungerattacken und für den Stoffwechsel
Bitterstoffe können offenbar unser Hungergefühl, je nach Bedarf, beeinflussen. Wenn beispielsweise der Appetit infolge einer Erkrankung (oder Schwäche) ausbleibt, wirken sie appetitanregend. Andererseits können sie Heißhungerattacken und Lust auf Süßes regulieren. Damit sind sie auch bei Übergewicht bzw. dem Kampf mit der Waage einen Versuch wert. Zudem sollen sie sich positiv auf den Cholesterinspiegel und die Fettregulation auswirken. Sie beschleunigen den Verdauungsprozess und machen ihn effizienter, was dazu führt, dass das Sättigungsgefühl rascher einsetzt. Nicht nur die Schleimhäute (verbesserte Durchblutung), auch die „Besiedler“ der Darmschleimhaut, unsere Darmbakterien, lieben ballast- und bitterstoffhaltige Nahrung wie Chicorée, Artischocke etc. Sogar der Säure-Basenhaushalt kann von den Bitterstoffen profitieren.
Leber und Galle
Für die Leber, unser wichtigstes Entgiftungsorgan, das die Nährstoffe umbaut, zur Verfügung stellt oder speichert (Fettstoffwechsel, Zuckerstoffwechsel, Vitamine etc.), Schadstoffe (Medikamente, Alkohol) abbaut und Verdauungsenzyme und Gallensaft produziert, sind Bitterstoffe eine wahre Wohltat. Die Inhaltsstoffe der Mariendistel helfen der Leber sich zu regenerieren. Die Leber ist ein Organ, das wir kaum spüren, obwohl sie immense Arbeit leistet. Wir sollten sie dabei durch Leberentgiftungskuren, Leberwickel und ausreichend Bitteres in unserer Nahrung unterstützen. Viele Pflanzen, die der Leber guttun, regen auch die Produktion der Gallensäure und den Gallenfluss an, was die Fettverdauung positiv beeinflusst. Durch erhöhte Kontraktion der Gallenwege können Gallengries oder kleinere Gallensteine weiterbefördert und ausgeschieden werden. Nennenswert ist hier die Artischocke. Der Wermut wird schon bei Hildegard von Bingen hoch gelobt und als stärkendes Elixier zur Frühjahrskur empfohlen. Wunderbar für Leber und Galle ist auch der Löwenzahn, der früher gerne als Salat verwendet wurde. Aber auch viele Kräuter aus dem Garten wie Gänseblümchen, Salbei, Ysop, Rosmarin, Thymian, Bohnenkraut, Hopfen oder Beifuß enthalten verdauungsfördernde Stoffe. Auch die Säfte der Bauchspeicheldrüse mit ihren wichtigen Verdauungsenzymen werden angeregt und vermehrt in den Dünndarm abgegeben.
Immunsystem
Bitterstoffe sind ideal für kaltes, feuchtes Klima, denn ähnlich wie Scharfstoffe wirken sie innerlich wärmend und anregend. Bei Erschöpfung und Müdigkeit, aber auch bei Fieber und grippalen Infekten wurde früher im alpinen Raum gerne die Meisterwurz eingesetzt. Tatsächlich haben neuere Untersuchungen gezeigt, dass Bitterstoffe über die Stimulation entsprechender Rezeptoren in den Atemwegen auch antibakterielle und schleimlösende Prozesse bewirken. Ihre vielfältigen Wirkungen gehen also weit über das Verdauungssystem hinaus – auch weil eine gesunde Verdauung die Grundlage für einen gesunden, gut funktionierenden Organismus ist. So weiß man z.B., dass eine Verbesserung der Funktion des Magen-Darm-Trakts eine positive Wirkung auf das Haut-Mikrobiom, so wie auf das Immunsystem hat und in Folge auch das Thema Allergie tangiert.
Psyche und Gemüt
Alte Sprüche sagen: „Dem ist eine Laus über die Leber gelaufen“ oder „Ihr geht die Galle über“ und Pfarrer Kneipp meinte, dann würde ein Quäntchen bitter nicht schaden, um die „Bitterkeit“ aus dem Menschen zu vertreiben. Wenn Sie sich ausgelaugt, kraftlos, ständig müde, leicht reizbar und ohne Energie fühlen, brauchen Sie vielleicht Ruhe, denken Sie aber auch an die Leber. Unterstützen Sie Leber und Galle mit Bitterstoffen. Es kann sich auch auf Ihr Gemüt auswirken. Bitterstoffe aktivieren, stärken, stoßen an, geben Kraft und haben positiven Einfluss auf unsere Psyche.
Unsere heimischen Bitterstoff-Champions:
Enzianwurzel, Wermut, Schafgarbe, Tausendgüldenkraut, Salbei, Beifuß, Meisterwurz, Engelwurz, Hopfen, Löwenzahn …
Tipp:
Machen Sie eine Frühlingskur oder nehmen Sie täglich vor oder nach dem Essen (je nach Bedarf) ein paar Tropfen oder einen Sprühstoß auf die Mundschleimhäute und Ihr Stoffwechsel erhält einen Kick und so ganz nebenbei können Sie Ärger und Stress vielleicht gelassener entgegensehen.