Was für die einen lästiges Unkraut, ist für andere geschätztes Nahrungs- und Heilmittel. So ist der Löwenzahn auch dafür bekannt die Produktion des Gallensaftes anzuregen und wertvolle Dienste zur Unterstützung der Leber- und Darmgesundheit zu leisten.
Mag. Verena Reisinger, FNL-Heilkräuter- und Knospenexpertin, hat eine ganz besondere Beziehung zum Löwenzahn:
Als Kind habe ich Löwenzahnstängel mit einem Messer eingeritzt und zugeschaut, wie sie sich im Wasser aufgerollt haben. Mein Papa hat dann von seiner Großmutter erzählt und dass sie die „Löwenzahn-Röhrln“ samt frischen Löwenzahnblättern zum Kartoffelsalat gegeben hat. Das mache ich heute noch – am besten schmeckt‘s, wenn der Kartoffelsalat noch lauwarm ist. Große Freude bereitete es mir auch, in der Wiese zu liegen, die silbernen Kugeln mit den Löwenzahnsamen zu betrachten und sie mit einem Lufthauch in den Himmel zu entlassen. Nur Freunde des englischen Rasens haben keine Freude mit ihm – vor allem weil es praktisch unmöglich ist, seine Wurzeln vollständig zu entfernen. Und so manche Eltern und Großeltern mühen sich mit den braunen Flecken, die der Milchsaft an Händen und auf der Kleidung hinterlässt – vielleicht ist das ein Grund, warum sich immer noch hartnäckig das Gerücht hält, dass der Milchsaft giftig sei. Der weiße Milchsaft ist nicht giftig, enthält aber den Stoff Taraxacin, der bei übermäßigem Verzehr Bauchschmerzen und Übelkeit hervorrufen kann. Sollte das eintreten, dann trinken Sie viel Wasser.
In allen Teilen gesund
Tatsächlich können alle Teile des Löwenzahns gegessen werden und dadurch schenkt er uns seine Vitalkräfte. Vergleicht man seinen Gehalt an Mineralstoffen und Vitaminen mit denen eines Kopfsalates, dann sieht man, dass er wie viele andere Wildkräuter auch wesentlich mehr Vitamine und Mineralstoffe als Kulturgemüse enthält.
Löwenzahnblätter enthalten im Vergleich zu Kopfsalat
- achtmal so viel Calcium
- dreimal so viel Eisen
- zweieinhalbmal so viel Kalium
- doppelt so viel Magnesium und Phosphor
- vierzigmal so viel Vitamin A
- zehnmal so viel Vitamin C
- viermal so viel Vitamin E
- fünfmal so viel Reineiweißgehalt
Dies soll auf keinen Fall bedeuten, dass der Kopfsalat nicht wertvoll ist. Vielmehr möchte ich Sie ermutigen, ein paar Blätter vom Löwenzahn aus Ihrem Garten dem Kopfsalat beizumengen, um sich damit eine Extraportion Vitamine und Mineralstoffe zu gönnen.
Während man hauptsächlich im Frühjahr die jungen Blätter, wegen ihres chicoreeartigen Geschmacks für Salate verwendet, können die süßlich schmeckenden Blütenkopfe als Dekoration für Salate und Desserts verwendet werden. Will man die Kraft der sonnengelben Blüten auch im Winter genießen, dann befreit man die Blüten aus dem Kelch und macht aus ihnen ein feines Gelee oder einen Sirup. Sie werden sich besonders im Winter über die Sonnenstrahlen im Glas freuen. Aus den getrockneten und gerösteten Herbstwurzeln lässt sich ein überraschend schmackhafter Löwenzahn-Kaffee bereiten. In Essig eingelegte Knospen eignen sich als Kapernersatz.
In den Löwenzahnblüten finden sich reichlich Carotinoide insbesondere Lutein, das den Löwenzahnblüten die gelbe Farbe schenkt. Carotinoide wirken antioxidativ und schützen unsere Zellen vor freien Radikalen. Sie helfen auch Entzündungen im Körper zu reduzieren und sind wertvoll für die Augengesundheit.
Die Löwenzahnwurzel verfügt außerdem über 2 % (im Frühling) bis 40 % (im Herbst) Inulin. Inulin ist ein löslicher Ballaststoff in der Wurzel, der die Darmbakterien unterstützt. Der Löwenzahn speichert das Inulin, um gut versorgt über den Winter zu kommen. Graben wir die Wurzel im Herbst nach dem ersten Frost, können wir uns diesen Inulinspeicher nutzbar machen.
Leber, Galle, Magen, Darm und Haut
Verdauungsbeschwerden wie Blähungen und Völlegefühl können mit Löwenzahntee, -salat, Presssäften und Wurzelextrakten gelindert werden. Die Heilpflanze regt die Magensaftsekretion an und wirkt dadurch appetitanregend und krampflösend. Löwenzahn steigert auch die Produktion des Gallensaftes in der Leber und verbessert den Fettstoffwechsel, was nicht nur günstig ist, wenn man abnehmen möchte, sondern auch im Fall einer Fettleber positive Effekte zeigt, wenn dazu allgemein die Ernährung umgestellt wird. Löwenzahn unterstützt die Leber auch beim Abtransport von Giften im Körper und ist darüber hinaus wertvoll für die Hautgesundheit, wenn Giftstoffe und überschüssige Hormone ausgeschieden werden. Bei Hautproblemen oder schlecht heilenden Wunden kann der Löwenzahn auch äußerlich angewendet werden. In der Volksheilkunde vertraut man bei Warzen und Hühneraugen auf den weißen Milchsaft aus dem Stängel. Dazu trägt man diesen über mehrere Wochen lang zwei- bis mehrmals täglich auf die betroffenen Stellen auf.
Mit Bitter gegen Bitterkeit
Auf psychisch-seelischer Ebene wird dem Löwenzahn attestiert, dass er sich positiv auf die Stimmung und Vitalität auswirkt. Ärger, Zorn, Wut und Bitterkeit verschwinden wie ein Beispiel aus der römischen Antike zeigt: Kaiser Augustus soll nicht zuletzt wegen seiner cholerischen Ausbrüche gefürchtet gewesen sein, wenn ihm seine Galle zu schaffen machte. Erst wenn sein Leibarzt Löwenzahn in seinen Salat geben ließ, erfuhr der Kaiser und wohl auch seine Umgebung Linderung. Pater Johannes Pausch aus dem Europakloster Gut Aich lobt den Löwenzahn als „Lichtbringer, der unterdrückte Gefühle aus unserem Innersten ans Licht bringt.“ Dabei wirkt er in die Tiefe und aus der Tiefe heraus. In spirituellem Sinn soll er die „Bitterkeit der Seele“ auflösen.
Vom Wandeln und der Wandlung
Der Löwenzahn ist ein Meister der Wandlung, der Gegensätze und der Anpassung: Heute noch goldgelbe Sonnenblüten und bald darauf sind schon silberne, filigrane Samenkugeln sichtbar. Wie kleine Rettungsschirme verteilen sie sich über den Wiesen, um sich dort, wo sie auf den Boden treffen, zu verankern und eine neue Legion an Löwenzähnen zu gründen. Und das kann er buchstäblich überall: auf Wiesen, an Wegrändern und in Maurerritzen. Sogar vor Straßen macht der Anpassungskünstler keinen Halt. Seine Wurzeln, die sich bis zu 2 Meter tief in die Erde bohren können, machen ihn so stark, dass er sogar durch kleinste Ritzen im Asphalt wachsen kann. Diese enorme Stärke und Lebenskraft zeichnet den Löwenzahn aus und hebt ihn auch als Überlebenskünstler hervor. Bei all seiner Leichtigkeit, die sich in den fliegenden Samen zeigt, ist er tief und fest verwurzelt. Die Botschaft, die wir dahinter hören können: Bist du tief verwurzelt, dann wachsen dir Flügel.
Für mich ist der Löwenzahn ein Meister der Transformation und der Widerstandsfähigkeit – er ist wild und unabhängig und kann selbst im Großstadt-Dschungel überleben. Er ist so einzigartig wie wir Menschen, denn kein Blatt gleicht dem anderen und er vermag es auch, diese Einzigartigkeit in uns Menschen wachzurufen und uns daran zu erinnern, dass wir viel mehr sind als gesellschaftliche Normen und Konventionen oft von uns fordern.
Über die Autorin: Mag. Verena Reisinger ist FNL-Heilkräuter- und Knospenexpertin. Seit über 10 Jahren vermittelt sie, gemeinsam mit Pater Johannes Pausch aus dem Europakloster Gut Aich, Wissen über die Verwendung von Wildpflanzen und Bäumen. Sie ist freie Vortragende und Autorin. www.knosperl.at