Wer beim Thema Pilze nur an kulinarische Genüsse oder Pilzvergiftungen denkt, sollte unbedingt weiterlesen. Denn diese faszinierenden Lebewesen, die weder dem Reich der Tiere noch dem der Pflanzen zuzuordnen sind, haben weit mehr zu bieten, als uns Menschen als Nahrung zu dienen.
Gehören Sie zur Fraktion „leidenschaftliche Pilze- oder Schwammerlsucher“? Dann werden Sie wohl jedes Jahr im Spätsommer und Herbst von einem speziellen „Fieber“ gepackt, das Sie in die Natur, speziell in unsere Wälder treibt. Dem anderen Teil der Menschen sind diese sonderbaren Geschöpfe eher suspekt und er greift lieber im Supermarkt zu ganzjährig erhältlichen Champignons, höchstens noch zu saisonalen Eierschwammerln / Pfifferlingen, wenn es ihn nach Pilzen gelüstet. Tatsächlich gibt es Kulturen, die Pilze schätzen und sie seit Jahrtausenden als Nahrung, Medizin und Rauschmittel verwenden, während andere Pilze eher meiden und sogar fürchten, weil sie weder Wissen noch Erfahrung haben.
Seit einiger Zeit erleben Pilze eine Hochkonjunktur. Gastronomen, Landwirte, Techniker, Architekten und Forscher aus diversen Wissenschaftsbereichen beschäftigen sich mit ihnen. Sie rücken vermehrt in unseren Fokus als
- gesundes, ressourcenschonendes Nahrungsmittel und als Delikatesse
- körperliches und psychisches Stärkungs- und Heilmittel
- biogene Arzneistoffe
- Hoffnungsträger zur Rettung unserer Umwelt (Ökologie, Nachhaltigkeit etc.)
Pilze sind allgegenwärtig und doch nur selten für uns sichtbar. Manche können nur unter dem Mikroskop erkannt werden wie Bäckerhefe, Bierhefe, Schimmelpilze zur Käseherstellung oder Pilze als medizinische Wirkstoffproduzenten (z.B. Penicillin). Andere wachsen verborgen als fein verästeltes Geflecht (Myzel) im jeweiligen Substrat (im Baum, an seiner Wurzel, meist unter der Erde). Sichtbar für uns, und das nur über einen kurzen Zeitraum, sind nur jene Arten, die Fruchtkörper bilden, die wir dann üblicherweise als Pilze oder Schwammerl bezeichnen. Diese sind für uns schön oder weniger schön anzusehen, essbar oder ungenießbar oder sogar tödlich giftig. Manche sind kulinarische Köstlichkeiten, wie Trüffel, Steinpilze oder Morcheln. Wir sollten uns jedoch dessen bewusst sein, dass sie nur der sichtbare Teil des wirklichen Pilzes sind, der im Verborgenen bzw. unter der Oberfläche lebt und das über viele Jahre. Wir Menschen hatten bis vor Kurzem keine Ahnung, was sich hier fern unserer Wahrnehmung abspielt. Die Wissenschaft versucht
Ernährung und Fleischersatz
Pilze werden zunehmend als gesunde und pflanzliche Alternative zu Fleischprodukten genutzt und bereichern die Küche von Vegetariern und Veganern. Sorten wie Shiitake, Austernseitlinge, Enoki oder Hericium (Igelstachelbart) sind besonders beliebt, da sie reich an Nährstoffen sind, eine fleischähnliche Textur und den beliebten „umami“-Geschmack haben, was sie in der pflanzlichen Küche vielseitig einsetzbar macht. Mittlerweile tüfteln auch Spitzengastronomen an würzigen Pilzessenzen, die ihren kulinarischen Kreationen einen einzigartigen Geschmack verleihen sollen.
Pilze eignen sich auch sehr gut zur Gewichtsreduktion – sie sind kalorienarm, enthalten kaum Fett, dafür aber sättigende und verdauungsfördernde Ballaststoffe und weisen ein gutes Mikronährstoffprofil auf.
Innovative junge Landwirte und interessierte Startup-Gründer sehen einen Chance in der Zucht von Speisepilzen auf Substrat. Ackerflächen sind rar, Ressourcen wie Wasser und Humus kostbar. Pilze sind anspruchslos in Anbau und Pflege. Sie wachsen auf „Abfall-Substraten“ wie Kaffeesatz, Stroh oder Holzspänen, in platzsparenden mehrstöckigen Regalen. Sie benötigen keine chemischen Pflanzenschutzmittel und keinen mineralischen Dünger.
Mykotherapie
Pilze haben eine lange Tradition als Heilmittel. In Asien spielen sie seit Jahrtausenden eine große Rolle als Nahrungs- und Heilmittel, also sowohl in der Küche als auch und in der TCM-Apotheke. In westlichen Kulturen ist viel altes Wissen (ähnlich wie das alte Wissen über Heilkräuter) verlorengegangen. Dank Ötzi wissen wir, dass bereits vor 5.000 Jahren der Zunderschwamm genutzt und der Birkenporling zur Wundheilung, Desinfektion und wahrscheinlich auch gegen Darmparasiten eingesetzt wurde.
Pilze wie Reishi, Chaga, Shiitake, Hericium oder Cordyceps werden weltweit immer bekannter aufgrund ihrer positiven Wirkungen auf das Immunsystem und die kognitiven Funktionen. In Form von Nahrungsergänzungsmitteln (Vitalpilze oder Medicinal Mushrooms) sollen sie das allgemeine Wohlbefinden fördern, die Leistungsfähigkeit steigern, also modulierend und stärkend auf unseren Organismus wirken. Dabei spielen in erster Linie einige gut untersuchte bioaktive Inhaltsstoffe eine Rolle: Spezifische Beta-Glukane zeigen die Fähigkeit zur Immunmodulation. Zudem werden sie als „biological response modifiers“ /BRM) bezeichnet, da sie imstande sind den Gleichgewichtszustand im Organismus zu fördern (Homöostase). Weitere gesundheitsfördernde Inhaltstoffe sind z.B. Terpene, Polyphenole oder Nucleoside.
Die Ansätze einer modernen „Mykotherapie“ basieren auf aktuellen wissenschaftlichen Studien, gehen aber grundsätzlich auf Erkenntnisse aus der traditionellen Anwendung und Erfahrung der Volksheilkunde, insbesondere der TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) zurück.
Psychedelika
„Magic Mushrooms“ und deren Wirkstoff Psilocybin erfahren aktuell ein großes Interesse, insbesondere in der psychotherapeutischen Forschung. Studien legen nahe, dass sie bei Depressionen, bipolaren Störungen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Todesangst bei Krebserkrankungen und am Lebensende in naher Zukunft eine Rolle spielen könnten.
Biogene Arzneimittel
Penicillin, die „Mutter der Antibiotika“, wird aus Pilzen der Gattung Penicillium gewonnen. Auch andere biogene Arzneimittel wie einige Immunsuppressiva und Cholesterinsenker (Statine) stammen von Pilzen.
Unverzichtbarer Teil des Ökosystems
Pilze sind überall. Gräbt man im Wald bei einem beliebigen Baum die Wurzeln aus, bei einer Buche, einer Eiche oder einer Fichte, so sind diese meist mit einem feinen weißlichen Pilzgeflecht überzogen (sogenannte Hyphen, mikroskopisch feine Fäden, die sich verzweigen und am / im Substrat ausbreiten und so das Myzel bilden). Nicht die dicken Wurzeln nahe am Stamm, sondern die Feinwurzeln ganz am Ende sind von diesem Myzel sogenannter Mykorrhiza-Pilze umwachsen.
Zusammen mit Bakterien bilden Pilze DIE Zersetzerorganismen (Destruenten) im Stoffkreislauf unserer Ökosysteme. Sie bauen beispielsweise Holz, vertrocknete Blätter, Früchte, aber auch Horn und Fette ab. Dabei führen sie Stickstoffverbindungen und andere Stoffe in den Boden zurück, die dadurch Pflanzen und Tieren erneut zur Verfügung stehen. Diese „Recycling“-Aufgabe macht Pilze aus ökologischer Sicht zu den Ernährern des Waldes.
Aktuell untersucht man auch, inwiefern Pilze wichtig sind, um Bodensysteme, wenn sie gestört wurden, wieder in den normalen Rhythmus zurückzubringen, ausgelaugte Böden wieder fruchtbar zu machen oder Schwermetalle und andere Ablagerungen in Böden oder im Meer zu filtern bzw. aufzulösen. Insbesondere Pilzen in Interaktion mit Bakterien spielen dabei eine wichtige.
Nachhaltigkeit und innovative Anwendungen
Die Forschung untersucht auch neue Verwendungsmöglichkeiten von Pilzen in der nachhaltigen Produktion, z. B. für biologisch abbaubare Materialien. Pilze könnten Plastik ersetzen und in der Verpackungs-,Textil- und Bauindustrie genutzt werden. Biologisch wieder abbaubares Pilzmyzelmaterial könnte in einigen Jahren als Alternative für Ziegel, Rigipsplatten und Dämmstoffe auf den Markt kommen.
Alles steht mit allem in Beziehung
Pilze kommunizieren mit Bakterien im Boden, mit Pflanzen und Tieren auf Basis von Erkennungs- bzw. Signalmolekülen. Diese Art der Interaktion zwischen Organismen durch solche „info chemicals“ nennt man auch mikrobielle Kommunikation. Die aktuelle Forschung dazu macht deutlich, wie eng die Lebewesen unserer Umwelt miteinander verbunden, ja verwoben sind; und dass wir auch nur ein Teil von etwas großem Ganzen sind, das wir noch nicht mal ansatzweise wahrnehmen und folglich begreifen können. Was wir nicht sehen existiert für uns oft gar nicht. Pilze (und insbesondere ihr nicht sichtbares Myzel unter der Erde) „führen uns vor Augen“, wie wichtig das Unsichtbare in unserer Welt ist. Sie sind ein wunderbares Sinnbild für die Bedeutung von Beziehung, nach dem Motto: „Alles steht mit allem in Beziehung“.
Fazit
Ernährung, Gesundheit, Landwirtschaft, Umwelt, Nachhaltigkeit, Technik – Pilze können bei jedem einzelnen Thema einen wertvollen Beitrag leisten. Sie haben das Potenzial und damit definitiv die Perspektive für jeden Einzelnen von uns und für unseren Planeten eine noch ganz große Rolle zu spielen.
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Buchtipps:
Merlin Sheldrake: Verwobenes Leben. Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen. Ullstein Verlag, 2020
Sebastian Reindl / Michaela Friedl: Faszination Pilzzucht. Anbaumethoden, Tipps & Rezepte. Leopold Stocker Verlag, Graz 2024.
B. Haertel / M. Rimböck / T. Neuerer: Wege der Heilung – Vitalpilze, modulierend, aufbauend, stärkend. Akademie für Naturheilkunde (Hg.), Salzburg, 3. Auflage 12/2021. www. naturheilkunde-akademie.at