WEGE DER HEILUNG – EINE HOLISTISCHE BETRACHTUNG

Heilung geschieht auf vielen Ebenen. Dies zeigt u.a. der sogenannte „Placebo-Effekt“: Untersuchungen haben ergeben, dass sich Befinden, Krankheitsverlauf und sogar Laborparameter verbessern können, wenn der Patient etwas ohne Wirkstoffe verabreicht bekommt. Sobald die Ursache von Heilung aber nicht materiell fassbar ist (Inhalts- bzw. Wirkstoffe), tut sich die exakte Wissenschaft schwer mit Erklärung, Interpretation und Anerkennung. Ein Blick auf die jahrtausendealte Geschichte der traditionellen Heilkunde aller Kulturen zeigt jedoch, dass Heilung auf verschiedene Weise geschehen kann. Sie ist von vielen Faktoren abhängig und braucht mehr als Geräte und Medikamente. Unsere medizinische Versorgung ist hochentwickelt und hochspezialisiert. Der Blick auf das Ganze, eine holistische Perspektive, ist gerade deshalb so wichtig.

Naturwissenschaftliche Erkenntnisse (auch aus Fachbereichen wie der Chemie und Physik) der letzten Jahrhunderte brachten stetig Fortschritte in der Medizin. Sie führten aber auch zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel. Es kam zu einer Trennung von Körper und Geist.
Der menschliche Organismus und die Psyche wurden zum Objekt der Naturwissenschaften -am liebsten streng getrennt und unterteilt in Fachbereiche. Es wird experimentiert, Hypothesen und Theorien werden aufgestellt und durch empirische und statistische Studien geprüft. Der Goldstandard in der Medizin, um die Wirksamkeit eines Medikamentes bzw. eines Wirkstoffes zu beurteilen, ist heute die randomisierte placebo-kontrollierte Doppelblindstudie. Ziel ist, möglichst alle subjektiven Einflussfaktoren auszuschalten, um objektive, vom Untersucher unabhängige Ergebnisse zu erhalten. Denn, obwohl es im Gegensatz zum modernen wissenschaftlichen Verständnis steht, ist allgemein bekannt, dass die subjektive Erwartung einer Wirkung beim Arzt oder Patienten nicht selten zu dieser Wirkung führt. Diese unbewussten Einflüsse möchte man in solchen Studien ausschalten, um klar definierte, objektive, messbare Fakten zu bekommen, die standardisierbar sind. Ähnlich verhält es sich mit Laborwerten von Patienten. Die Tendenz geht dahin, den Menschen auf Zahlen und Fakten zu reduzieren. „Das Messbare steht im Zentrum dessen, was wir heute evidenzbasierte Medizin nennen. Dieses Konzept gilt es zu beachten und weiterzuentwickeln, aber auch seine Grenzen auszuloten und zu respektieren,“ sagt Prof. Dr. med. Rudolf Guthoff. (Aus: Das Verständnis von Humanität in der Medizin)

Europäische Klosterheilkunde
Versucht man also der objektiven Wissenschaft zuliebe alles Subjektive, Persönliche, Menschliche auszuschalten, läuft man Gefahr, einen wichtigen Aspekt von Heilung, der über Jahrtausende eine große Rolle gespielt hat, zu verdrängen: Die persönliche Zuwendung des Therapeuten, die ganzheitliche Wahrnehmung seines Gegenübers mit möglichst allen Sinnen, eine besondere Achtsamkeit in der Be-Handlung und ein Verständnis dafür, dass Körper und Geist nicht voneinander isoliert sind. Hinzu kommt die Bedeutung, die die Beziehung „Arzt / Therapeut / Heiler – Patient“ hat.

Dies ist ein wesentlicher Aspekt von traditionellen Heilweisen, wie z.B. der Klosterheilkunde. Für die Europäische Klosterheilkunde nach Pater Dr. Johannes Pausch aus dem Europakloster Gut Aich kann Gesundheit auch als Beziehungsfähigkeit und Beziehungserfahrung auf allen Ebenen verstanden werden. Gelingende Beziehungen führen dazu, dass der Mensch sich wohlfühlt, innerlich in der Balance ist. Beziehungslosigkeit und Beziehungsstörungen sind oft Ursache von Erkrankungen. Störungen der Balance können zu einer leib-seelischen Störung führen, die in ihren verschiedenen Stufen als Krankheit angesehen werden kann. Krankheit kann in manchen Fällen Anstoß für eine Lebenskorrektur, eine Aufforderung zur Veränderung und eine Chance für einen neuen Weg sein. Ganz allgemein sieht die Klosterheilkunde ihre Aufgabe in der Prävention. Ihre Anwendungen zielen darauf ab, ein dynamisches Gleichgewicht zu erreichen, das den Menschen zu einem Leben im Einklang mit sich selbst, mit den Menschen, mit der Umwelt, mit der Schöpfung und mit Gott ermöglicht. Heilpflanzen werden dabei als Hilfsmittel zur Wiederherstellung der Lebensbalance angesehen.

Der Mensch – ein hyperkomplexes, lebendiges System
Die Leistungen der modernen medizinische Wissenschaft sind nicht hoch genug zu schätzen.  Die Lebensvorgänge des Körpers sind bis auf die Molekularebene erforscht und es gibt permanent neue Erkenntnisse. Erkrankungen, die noch vor 100 Jahren unzählige Menschen in Angst und Schrecken versetzt haben, sind heute gut zu behandeln oder gar ausgerottet. Dass aber trotz eines hohen medizinischen Standards und weltweiter hochspezialisierter Forschungen ein winziges Virus 2020 die Welt lahmlegen konnte, zeigte uns SARS-CoV-2 bzw. seine Folgen (COVID 19). In solchen Fällen ist es notwendig auf Schnelligkeit und Effektivität zu setzen. In Laboren wurde auf Hochtouren das Virus erforscht, um raschestmöglich ein Medikament oder einen Impfstoff gegen den unerwünschten Eindringling zu finden. Wenn allerdings wieder Zeit zum „Durchatmen“ ist, sollte auch reflektiert werden, ob mehr Achtsamkeit, Beziehung, das gute Maß und eine Lebensbalance eine solche Pandemie bzw. ihre teilweise horrenden Folgen nicht hätten verhindern können. Stichwort: Ischgl, Apres-Ski-Party, Massentourismus , Menschenmassen auf engem Raum, Lärm, Wildtiermärkte in Asien, Schwächung unseres Immunsystems durch unseren Lebenswandel oder zu viele Antibiotika etc. – nach dem Motto „schneller, höher, lauter, mehr…“!

Aber auch wenn in anderen Fällen und Krankheiten mehr Zeit gegeben ist, müssen die Methoden der modernen Medizin in der Forschung den Menschen auf ganz wenige oder einen einzelnen Stoffwechselvorgang reduzieren, um genau diesen zu untersuchen und ein Modell zu entwickeln. Biologisch betrachtet ist der menschliche Körper jedoch ein hyperkomplexes lebendiges System, das in ständigem Austausch mit seiner Umwelt ist. Pro Minute finden beispielsweise zwischen Zellkern und Zytoplasma rund 1 Million Transportvorgänge statt und rund 1 Million Zellteilungen. Die Anzahl der einzelnen biochemischen Stoffwechselvorgänge pro Minute beim menschlichen Körper ist unvorstellbar groß. Die wissenschaftlich-reduktionistische Vorgehensweise kann also schwerlich alle Implikationen eines Pharmakons oder einer Heilpflanze auf diese Vorgänge abbilden. Eine nachgewiesene Wirkung eines Pharmakons oder eines Pflanzenextraktes schafft noch kein Wissen über deren Wirkung.

Wenn schon der Mensch rein körperlich ständig in Kommunikation mit der Umwelt und menschlichen Sozialwelt steht, dann ist die Trennung zwischen Außen- und Innenwelt eher eine wissenschaftlich postulierte und bildet die Wirklichkeit nicht ab. Erkenntnisse aus der modernen Quantenphysik zeigen außerdem, dass die Trennung zwischen Subjekt und Objekt zumindest im Mikrokosmos auf der Quantenebene nicht wirklich vorhanden ist: Die reine Beobachtung eines Quantenteilchens verändert schon seine Eigenschaften.

Der wissenschaftlich-materielle Ansatz der Medizin beschäftigt sich also mit Krankheit als Folge biochemischer oder physikalischer Fehlfunktionen und versucht diese zu korrigieren, um Gesundheit wiederherzustellen. Welche Bedeutung aber haben nicht-materielle Einflüsse auf Heilung? Wir wissen mittlerweile, dass uns Stressoren, psychische Belastungen, Umwelteinflüsse krank machen können. Im Umkehrschluss müssten uns positive Einflüsse dabei unterstützen, nicht krank oder wieder gesund zu werden. Als die Möglichkeiten der Medizin nach unserem heutigen Verständnis noch sehr beschränkt waren, waren Heiler und Heilerinnen, Medizinmänner, Schamanen, Mönche und Nonnen in allen Kulturen viel mehr darauf angewiesen die Selbstheilungskräfte – den inneren Meister – zu unterstützen, mit Heilmitteln, aber auch auf spiritueller Ebene. Es gab keine wissenschaftliche Erforschung der Wirkstoffe. Erfahrung, Intuition, überliefertes Wissen und Spiritualität spielten eine wichtige Rolle.

Traditionelle Pflanzenheilkunde
In der Pflanzenheilkunde verließ man sich bis in die Neuzeit u.a. auf die Signaturenlehre. Danach weisen Zeichen in der Natur auf Ähnlichkeiten, Verwandtschaften und innere Zusammenhänge hin. Analogien bestehen demnach zwischen Form, Farbe, Charakter, Geruch, Geschmack, Standort, Entstehungszeit, humoralpathologischen und astrologischen Zuordnungen und vielen weiteren Aspekten. Die Signaturenlehre beruht auf einem kosmischen Denken in Entsprechungen (Mikrokosmos-Makrokosmos-Lehre) und geht davon aus, dass sämtliche Erscheinungen und Wesen miteinander in Beziehung stehen. Auch in der chinesischen und der ayurvedischen Medizin existieren ausgearbeitete Systeme der Zuordnungen nach Signaturen.

Rationale Phytotherapie
In der wissenschaftlichen, rationalen Phytotherapie wird mit standardisierten Pflanzenextrakten und definierten Pflanzenwirkstoffen gearbeitet. Sie erhebt den Anspruch neben vorhandenem Erfahrungsmaterial naturwissenschaftliche Bewertungsmaßstäbe zu verwenden und die Wirksamkeit der enthaltenen Pflanzen sowie der Zubereitungen und Kombinationen jeweils anhand von Studien belegt zu haben. Die wirksamen Inhaltsstoffe der Heilpflanzen unterliegen natürlichen Schwankungen, bedingt durch Klima, Standort, Erntezeitpunkt, Verarbeitung und Lagerung. Daher ist die Standardisierung der Ausgangsstoffe und Methoden für die Arzneimittelherstellung sehr wichtig. Dennoch scheint es einen Unterschied zu machen die Heilpflanze auf Inhalts- bzw. Wirkstoffe zu reduzieren oder die Pflanze als Ganzes zu sehen und in eine – wie auch immer geartete – Beziehung zu treten.  Wer sich jemals in der Fülle des Frühlings oder in der Hitze des Sommers mit saisonalen Kräutern wie Bärlauch, Brennnessel, Schafgarbe, Johanniskraut, Thymian oder Kapuzinerkresse auseinandergesetzt hat, wird eine sehr individuelle Erfahrung über Wohltat und Wirksamkeit für Körper, Geist und Seele machen. Ganz egal, ob die Pflanze eine positive Monografie laut Kommission E, HMPC oder ESCOP bekommen hat.

Spirituelle Pflanzenheilkunde
Kräuter, die uns in bestimmten Situationen des Lebens helfen sollen, wirken nicht über ihre Inhaltsstoffe allein. Um von ihrer ganzen Kraft profitieren zu können, müssen wir eine Beziehung zu ihnen aufbauen, sie mit Ehrfurcht und Respekt gebrauchen. Wir sollen uns von ihnen ansprechen lassen und die Pflanze nicht nur mit dem Verstand, sondern mit allen Sinnen erfassen und begreifen. Wir müssen unsere Intuition wieder schulen. Angenommen, jede physische Wirkung hat auch eine psychische Auswirkung, dann tun Kräuter nicht nur unserem Leib, sondern auch unserer Seele gut.

Mag. Heidi Friedberger, Geschäftsführerin der Akademie für Naturheilkunde

 

Quellen:

Prof. Dr. med. habil. Rudolf F. Guthoff: “Das Verständnis von Humanität in der Medizin“ auf: http://www.kas.de (Website der Konrad-Adenauer-Stiftung),

Auszüge aus:

Friedberger H, Kober S, Pausch J, Reisinger V:

Spirituelle Pflanzenheilkunde. Wesen der Pflanze, traditionelle Erfahrungen und wissenschaftliche  Erkenntnisse
Erschienen im Eigenverlag in Salzburg
29,90 Euro zzgl. Versandkosten, erhältlich bei der Akademie für Naturheilkunde,
info@naturheilkunde-akademie.at

 

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