MIT HEILPFLANZEN IN BEZIEHUNG KOMMEN

Die Heilkundigen früherer Zeiten und Kulturen hatten keine Studien und keine Kenntnisse über Inhalts- und Wirkstoffe von Pflanzen. Sie waren darauf angewiesen, die Natur genau zu beobachten, Erfahrungen zu sammeln und das Wissen von Generation zu Generation weiterzugeben. Dabei ging es darum, eine Pflanze so gut wie möglich zu „erfahren“, zu verstehen, von ihr zu lernen: Wo wächst sie, wer sind ihre Nachbarn, wird sie von Tieren gefressen oder gemieden oder bei Beschwerden sogar von ihnen aufgesucht. Wie sieht sie aus von der Wurzel, dem Kraut, der Blüte bis zur Frucht und welche Teile könnten wofür Verwendung finden. Immer aber wurde die Pflanze und so auch die sie umgebende Natur, mit der die Menschen lebten, genau beobachtet. Man könnte sagen, sie konnten die Natur „lesen“. Ihre Intuition war besser dafür geschult als unsere heute. Sie waren in einer Beziehung mit der Natur, mit den Tieren und den Pflanzen. Und sie behandelten sie mit Ehrfurcht und Respekt.
Meist ergänzten sie ihren Erfahrungsschatz durch magische Handlungen und Rituale. Die Grenze zwischen Magie und Arznei war früher fließend. Aber auch das zeigt das Streben, insbesondere zum Zwecke der Heilung, in Beziehung zu kommen: Der Heiler mit dem zu Heilenden, mit dem Heilmittel und mit der Transzendenz. In Kontakt zu kommen mit den „Geistern“. Dazu gab es allerlei Hilfsmittel und Rituale wie singen, trommeln, räuchern, psychedelische Pflanzen oder Pilze, sich dadurch oder durch Meditation, in einen Trancezustand zu bringen etc.

Schulung der Wahrnehmung – In Beziehung kommen
Auch heute können wir versuchen – ohne oben genannte Rituale –  mit einem Kraut, einer Pflanze in Beziehung zu kommen, sie genau zu studieren, sie kennenzulernen. Natürlich müssen wir keine negativen Erfahrungen mehr machen ( Vergiftungen etc.), weil wir dieses Wissen, das wir nicht mehr von unseren Vorfahren bekommen haben, aus Büchern oder anderen guten Quellen beziehen können. Danach aber sollten wir versuchen mit Einfühlungsvermögen und Intuition auf die Pflanze zu hören. Welche Pflanze spricht mich an? Was kann oder will sie mir sagen? Ich kann versuchen Teile von ihr zu verwenden (in der Küche als Gewürz, als Nahrungsmittel, als Heilkraut etc. und sie so immer besser kennenzulernen. Ich werde mit anderen Augen durch die Natur gehen, wenn ich den Fokus auf meine Umgebung richte. Plötzlich nehme ich Pflanzen, Bäume, Pilze, Tiere, die ich davor einfach nicht gesehen hatte, wahr. Und darum geht es auch: Um eine Schulung der Wahrnehmung, um mit unserer Umgebung wieder besser in Beziehung zu kommen

Solche persönlichen Begegnungen mit Pflanzen, dem genauen Hinhören, Schauen, Riechen, Spüren und Schmecken, dem Kochen mit den Pflanzen, der Verarbeitung und dem Anwenden als Heilmittel bedeuten „in Beziehung kommen“. Das tut uns in jeder Situation gut und hilft uns auf dem Weg zu Gesundheit und Wohlbefinden.

Gewinn durch Wissenschaft – Verlust traditioneller Erfahrungen und Intuition
Heute haben wir das Wissen, die Intuition und damit auch das Vertrauen in viele Heilpflanzen verloren. Die Wissenschaft, die Medizin und die Pharmazie sind auf der Suche nach dem einen mächtigen Inhaltsstoff mit größtmöglicher Heilkraft und am besten man kann diesen Stoff im Labor synthetisieren. Das ist auch in Ordnung und die anerkannten Pflanzenmonografien geben Aufschluss über wirksame Stoffe und mögliche Anwendungen. Sie geben auch die nötige Sicherheit, dass wir nichts zu uns nehmen, was uns schaden könnte. Leider bleiben dabei die vielen tausend Heilkräuter auf der Strecke, die uns als Vielstoffgemische auf sanfte Weise Gutes tun und Jahrhunderte lang geschätzt wurden. Diese traditionellen Heilpflanzen verlangen uns mehr Geduld, mehr Zeit und mehr Achtsamkeit ab. Wir müssen wieder vertrauen lernen und uns auf die Pflanze und den Heilungsprozess einlassen, auf körperlicher und seelischer Ebene. Dafür sind die meisten Menschen nicht mehr bereit. Das ist bedauerlich.

Was uns die Engelwurz lehrt
Es sprach die Engelwurz zum Wissenschaftler: „Hältst du es für möglich, einen Menschen vollständig zu zerlegen, ihn auf seine chemischen Grundbestandteile zu reduzieren, das Ergebnis dann in eine messende und analysierende Maschine zu speisen und dann daraus zu schließen, ob er ein begabter Maler oder ein kreativer Musiker ist?

Nein, erwiderte der Wissenschaftler, ohne zu zögern.

Warum glaubst du dann, dass du etwas über mich weißt, nur weil du genau das mit meinem physischen Körper getan hast?, fragte die Engelwurz mit leisem Spott in der Stimme.

Ja, aber wie sonst soll ich denn etwas über die Heilkräfte einer Pflanze erfahren?, seufzte der nun verunsicherte Wissenschaftler.

Frag doch einfach die Alten, frage die Weise, frage die, die mit den Geistern der Natur vertraut sind, und sie werden es dir sagen!, antwortete die Engelwurz.

Aber wir haben keine alten Weisen mehr und kaum noch Überlieferungen und wer ist denn überhaupt noch mit den Geistern und der Natur vertraut?, meinte der Wissenschaftler nun niedergeschlagen.

Dann musst du eben selbst ein Weiser werden! Dann nimm mich doch zum Lehrer. Komm setz dich zu mir und wenn du geduldig bist und deine Augen und Ohren aufsperrst, dann werde ich dir die Rituale und Zauberworte schenken, mit denen du mich und meine Geschwister wieder rufen kannst.“*

*Epilog aus dem Buch: „Der Garten der Druiden – Das geheime Kräuterwissen der keltischen Heiler“, von Claudia Urbanovsky, Loïc Gwenc’hlan Le Scouëzec, 2008 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.

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